Mülheim - Zwangsarbeiterlager Flughafen


Abb. Aufnahme des Essen-Mülheimer Flughafens aus den 1930er Jahren. Im Vordergrund ist eine Lufthansa-Maschine zu sehen.


Arbeitserziehungslager für „Arbeitsbummelanten“ und Missliebige jeder Art

 

 

1941 eröffneten die Nationalsozialisten auf dem Gelände des Essen-Mülheimer Flughafens ein Arbeitserziehungslager, in dem inhaftierte Menschen bis zur völligen Erschöpfung schuften mussten. Menschen, denen jegliche Menschlichkeit und jegliche Rechte abgesprochen wurden, die weder angemessen ernährt noch im Krankheitsfall geeignet medizinisch behandelt wurden. Nachfolgenden wird zunächst das Prinzip der Arbeitserziehungslager erklärt, bevor danach die Planung, Einrichtung und der Betrieb des Essener Lagers vorgestellt werden.

Das Netz der Lager, in denen „Staatsfeinde“ und „Asoziale“ von den Nationalsozialisten zusammengepfercht, misshandelt, erniedrigt und jedes menschwürdigen Lebens beraubt wurden, umfasste nicht nur die im ganzen Reich und in den Nachbarländern verstreuten Konzentrationslager. Schon einige Jahre nach „Erfindung“ der KZ wurden zunächst staatspolizeiliche Sonderlager eingerichtet, die der Gestapo für weitgehend mutwillige und jeder Kontrolle entzogenen Einweisungen dienen. Sie waren Vorläufer der ab 1940 auch im Rheinland und in Westfalen geplanten und gebildeten Arbeitserziehungslager (AEL), im Volksmund heute noch unter dem Begriff „Arbeitslager“ bekannt. Eingewiesen wurden insbesondere Personen, die sich so genannter Arbeitsvergehen schuldig gemacht hatten. Dazu zählten sowohl Fälle, in denen Lohnabhängige als arbeitsunwillig bewertet wurden wie auch das unpünktliche oder Nicht-Erscheinen am Arbeitsplatz. Betroffen waren ebenso ausländische Arbeiter, die etwa aufgrund zu geringer Löhne und unzumutbarer Arbeitsbedingungen ihren Arbeitsplatz vertragswidrig verlassen und den Versuch unternommen hatten, in ihre Heimatländer zurückzukehren.

 

 

Grundlage der Einweisung in ein Arbeitserziehungslager waren in aller Regel Denunziationen von Arbeitnehmern durch Betriebsleitungen, Obleute der Deutschen Arbeitsfront oder NSDAP-Organisationen an den Reichstreuhänder für Arbeit oder an die örtlichen Arbeitsbehörden. Während solche Anzeigen gegen Arbeitnehmer von den Arbeitsämtern mit Verwarnungen geahndet werden konnten, was in der Mehrzahl der Fälle auch geschah, wurden andere Fälle bei der Gestapo zur Anzeige gebracht, die eine Einweisung des Betroffenen in ein Arbeitserziehungslager oder in selteneren Fällen ins KZ vornehmen konnte. Bei so genannten „fremdvölkischen“ Arbeitnehmern wurden in der Regel von den Unternehmen, der Bahn-, Schutz- oder Kriminalpolizei Anzeigen direkt an die Gestapo geleitet, die dann verfügte, was mit dem denunzierten Arbeitnehmer geschah. Die Einweisungen der Gestapo von Personen in die Arbeitslager erfolgte oft weitgehend willkürlich und hing oftmals weniger von der Frage ob, wie schwer die Verfehlung des angezeigten Arbeitnehmers war, sondern ob eines der Lager möglicherweise gerade einen höheren Bedarf an Arbeitskräften hatte. Bei politisch Verfolgten war es oft eine Angelegenheit persönlicher Schikane, dass Menschen, die zur Vernehmung vorgeladen wurden, bis zu ihrem Gerichtstermin oder einer Einlieferung ins KZ in ein Arbeitslager eingewiesen wurden. Derer, die ins Lager geschickt werden sollten, wurde man entweder dadurch habhaft, dass die Revierbeamten der Schutzpolizei mit der Festnahme beauftragt wurden oder die Gestapo den Betroffenen in ihr Dienstgebäude vorlud, um ihn oder sie dann beim Erscheinen in der Dienststelle festzunehmen.[1] Die Arbeitserziehungslager waren auch in jeglicher anderer Beziehung eine rein polizeiliche Angelegenheit. Die Verwaltung und Kontrolle der Arbeitserziehungslager oblagen der Geheimen Staatspolizei, die Wachmannschaften waren von der örtlichen Schutzpolizei zu stellen.

 

 

An der Inhaftierung von Arbeitnehmern in Gefangenenlagern bestand ein hoher wirtschaftlicher Anreiz. Sowohl Behörden wie auch Privatfirmen hatten ein vitales Interesse daran, auf diesem Wege an billige Arbeitskräfte zu kommen, die völlig rechtlos waren und daher nahezu unbegrenzt ausgenutzt werden konnten. Eine der größeren Firmen, die sich der AEL-Häftlinge bedienten, war die Essener Baufirma Hochtief.

 

 

Die Haftbedingungen der eingewiesenen Menschen in den Arbeitslagern – anfangs nur Männer - waren äußerst problematisch. Erniedrigungen waren an der Tagesordnung.  Zur Begrüßung bei der Einlieferung mussten sich die Gefangenen nackt ausziehen und ihre Kleidung und ihre persönlichen Habseligkeiten abgeben, dann wurden die Köpfe kahl geschoren.  Als persönliche Ausrüstung erhielt jeder einen Essensnapf, eine Decke und als Ersatz für die eigenen Textilien bunt zusammen gewürfelte Kleidung aus ehemaligen deutschen und ausländischen Uniformen, gestreifter KZ-Kleidung oder blauer oder grauer Arbeitskleidung. Die Hosen waren teilweise viel zu weit, so dass sie beim Laufen oder beim Arbeiten hochgehalten oder provisorisch mit Kordel zusammengebunden werden mussten. An Schuhwerk wurden dünne, zum Teil beschädigte Schuhe, durchlöcherte Stiefel oder Holzpantinen ausgegeben, teilweise musste aber auch mit nackten Füßen gelaufen werden.

 

 

Bei den Unterbringungen handelte es sich um primitive Holzbaracken, in denen die Inhaftierten im Winter mangels ausreichender Beheizung oft schrecklich froren, im Sommer ohne ausreichende Belüftung die Hitze ertrugen.[2] Die sanitären Einrichtungen spotteten jeder Beschreibung. So konnten sich die Gefangenen während ihrer Haft nie richtig waschen. Es gab nur kaltes Wasser und die Männer wurden regelrecht durch die Duschen geschubst und geprügelt, so dass an eine ordentliche Reinigung nicht zu denken war. Es gab keine Handtücher und kein Toilettenpapier. Wer Glück hatte, konnte sich als Klopapierersatz tagsüber während der Arbeit von einem Zementsack ein paar Papierfetzen abreißen. Da die Schlafbaracken nachts nicht verlassen werden durften, musste die Notdurft nach Arbeitsende in Kübeln in den Baracken verrichtet werden, die bis zum Morgen überliefen und fürchterlich stanken.[3]

 

 

Die Arbeiten der Gefangenen begannen bei Wind und Wetter am frühen Morgen. Die Gefangenen wurden durch die Aufsichtskräfte mit Gebrüll und Schlägen gegen die Barackenwände geweckt. Bisweilen ging es unter Tritten und Schlägen im Laufschritt zu den Arbeitsstellen.

 

 

Einrichtung eines Arbeitserziehungslagers auf dem Flughafen Essen-Mülheim

 

 

Aus einem Bericht des HSSPF v. 8. August 1940 über eine Besprechung zwischen Vertretern der Reichsverteidigung, der Polizei, des Wehrkreises VI, der Wehrmacht, der Bergbaubehörden sowie des Bergbaus ergaben sich erstmals Pläne für die Einrichtung von Arbeitserziehungslagern im Rheinland und in Westfalen. Der Bericht konstatierte, viele polnische Bergbauarbeiter seien arbeitsunlustig und infizierten die deutschen Bergleute mit ihrer Faulheit. Schutzhaft habe sich in diesen Fällen als weitgehend untauglich erwiesen. Daher sollten Arbeitslager mit drastischen Erziehungsmaßnahmen eingerichtet werden. Durch die Polen sei es „aufgrund mangelnden Interesses, Arbeitsunlust, Disziplinlosigkeit und ihres Hanges zu Widersetzlichkeiten“ überall zu Schwierigkeiten gekommen, die zu einer Minderleistung von bis zu 35 % gegenüber deutschen Arbeitern geführt hätten.[4]

 

 

Im Frühjahr 1941 nahmen die Planungen konkrete Formen an. Neben einem Lager im Hunsrück und in Recklinghausen sollte ein drittes auf dem Flughafen Essen-Mülheim eingerichtet werden. Auf dem Flughafengelände existierten bereits Flak-Baracken, die von der Wehrmacht verlassen werden und als Gefangenenunterkünfte dienen sollten. An dem Treffen, in dem die Rahmenbedingungen für die Einrichtung abgesteckt wurden, nahmen hochrangige Verantwortungsträger teil. So waren neben dem HSSPF Düsseldorf, der Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD (IdS), Obersturmbannführer Bierkamp, der Reichstreuhänder für Arbeit Hahn, sein Stellvertreter Dahmen, sowie einige Stabsmitarbeiter und Sachbearbeiter vertreten. In dem Protokoll, das zu diesem Treffen verfasst wurde, hieß es:

 

 

„(…) Der Reichstreuhänder unterbreitet ein Projekt für ein neues Arbeitserziehungslager auf dem Flughafen Essen. Dieses Lager, das bereits fertig steht, kann 500 Mann fassen. Auch besteht die Möglichkeit, das Lager zu unterteilen, etwa für deutsche und ausländische Arbeiter. Die zu leistende Arbeit besteht in der Anlegung eines neuen Rollfeldes auf dem Flugplatz. Die Baracken liegen am Rande des Flugplatzes und können daher nicht von Zivilisten betreten werden. Der Leiter des Flughafens ist schon sehr dankbar, wenn in das Lager 100 Häftlinge geschickt werden, da mit diesen schon die Arbeit begonnen werden kann. Der IdS schlägt vor, dieses Lager als Auffanglager für diejenigen ausländischen Arbeiter zu benutzen, die ohne Ausreisegenehmigung wieder in ihre Heimat wollten und meist an den Grenzstationen, vor allem in Aachen, festgenommen wurden. Hierbei wäre dann lediglich der Transport von Aachen nach Essen zu klären, vor allem die Benzinfrage (Lkw durch Schupo, Benzin vom Flughafen). Der Obergruppenführer hält das Lager auch für geeignet und beauftragt daher den IdS das Projekt in Berlin vorzulegen und dort die Genehmigung zur Einrichtung eines weiteren Erziehungslagers einzuholen. Nach Rückkehr aus Berlin soll dann eine zweite Besprechung über das Lager Flughafen Essen angesetzt werden, in welchem schon Verhandlungsunterlagen mit der Stadt Essen durch den Reichstreuhänder mitgebracht werden sollen.   Gez. Grönig“.[5]

 

 

Der HSSPF teilte der Flughafengesellschaft Essen-Mülheim die Ergebnisse einer Besprechung vom 19. April 1941 mit und unterbreitete damit gleichzeitig auch ein Angebot an die Gesellschaft, über die Arbeitsleistung ausländischer Zwangsarbeiter verfügen zu dürfen.

 

 

„Zur Erziehung vertragsbrüchiger und arbeitsscheuer Elemente, insbesondere solcher ausländischer Arbeiter, die ihre Arbeitsstellen im Reich unbefugt verlassen, beabsichtige ich, durch den IdS auf dem Flughafengelände Essen-Mülheim ein Arbeitserziehungslager einrichten zu lassen. Ich bin bereit, hierzu mit Ihnen folgende Vereinbarung zu treffen:

 

 

  1. Verantwortlich für alle Fragen der Einrichtung des Lagers ist der IdS 
  2. Der Lagerleiter und die Verwaltungspolizei werden von der Staatspolizei gestellt 
  3. Die Lagerwache wird von der Ordnungspolizei gestellt. 
  4. Die Einweisung der Häftlinge erfolgt durch die zuständige Staatspolizeistelle auf Antrag des für sie zuständigen Reichstreuhänders der Arbeit auf die Dauer von 6 Wochen. Die Staatspolizeistellen stellen für den Abtransport der Häftlinge Kraftwagen, die Flughafengesellschaft den Brennstoff. Der IdS unterstützt nach Möglichkeit die Flughafengesellschaft bei den Verhandlungen zur Beschaffung der Zuteilung des erforderlichen Brennstoffes. 
  5. Es wird ein Bestand von mindestens 100 Häftlingen erhalten bleiben. Dem IdS steht es jedoch frei, darüber hinaus Einweisungen bis zu einer Gesamtzahl von 500 Häftlingen vorzunehmen. In das Lager werden nach Möglichkeit nur ausländische Arbeiter eingeliefert. Die Arbeitszeit der Häftlinge beträgt je nach Wetterlage 10 – 12 Stunden. 
  6. Das Lagergrundstück, die Lagerbaracken und die Einrichtungsgegenstände werden von der Flughafengesellschaft in einem für den vorgesehenen Zweck geeigneten Zustand unentgeltlich  auf die Dauer von mindestens 2 Jahren zur Verfügung gestellt. Soweit Einrichtungs- und Ausrüstungsgegenstände noch beschafft werden müssen (z. B. Bettwäsche, Arbeitsschuhe) erfolgt diese Beschaffung durch die Flughafengesellschaft auf ihre Kosten. Die Flughafengesellschaft wird hierbei vom IdS soweit möglich unterstützt. 
  7. Die Flughafengesellschaft lässt auf ihre Kosten die erforderlichen Einrichtungen anbringen, um ein Einsehen der Lagergebäude aus benachbarten Häusern oder Gartenlauben zu verhindern. Sie lässt ferner das Gelände umzäunen und die Fenster der Baracken vergittern. 
  8. Die Flughafengesellschaft verpflichtet sich, für mindestens zwei Jahre auf ihrem Gelände für die Häftlinge geeignete Erdarbeiten in jeder Jahreszeit durchgehend zur Verfügung zu stellen. 
  9. Die Flughafengesellschaft unternimmt für diese Arbeiten die Entlohnung der Häftlinge nach den tariflichen Hilfsarbeiterlöhnen der Baustelle. Zuschläge für Mehrarbeit, Nachtarbeit und Sonntagsarbeit sowie Erschwerniszuschläge sind nicht zu zahlen (…). Die Kosten für die Verpflegung der Wachmannschaften sind von den Arbeitern zu tragen. Ebenso erfolgt der Rück- und Abtransport der Häftlinge auf ihre Kosten (…). Die Flughafengesellschaft übernimmt weiter die Verpflegung der Häftlinge und Wachmannschaften zum Preis von 1,50 RM täglich für jeden Häftling. Sie zieht diesen Betrag von der Entlohnung der Häftlinge ab (…).[6]

 

Ergänzt werden muss hier, dass der Restlohn, der nach Abzug der Kosten übrig blieb, an die Reichskasse abgeführt wurde. Es darf sicherlich als Zynismus bezeichnet werden, dass die unter Zwang zur Arbeit verpflichteten Menschen auch die Verpflegung ihrer Peiniger oder die Transporte in ihr Elend von ihrem Lohn zu bezahlen hatten.

 

 

Im Juni 1941 war es dann soweit. Die Pforten des Lagers, in dem fortan viele Menschen gegen ihren Willen unter härtesten Bedingungen, größten Entbehrungen und letztlich ohne einen einzigen Pfennig Lohn arbeiten müssen, öffnen sich für die ersten Häftlinge. Die Haftstätte, die im Inneren unmenschliche Bedingungen bot, stellte sich an der Außenseite des ständig bewachten Eingangstores als kleinbürgerliches Idyll dar. Der Zugangsbereich war aufs Schönste mit Blumenrabatten geschmückt. Über dem Tor prangte ein Schild mit dem Hinweis „Arbeitserziehungslager“, während die Rückseite den Schriftzug „Auf Wiedersehen“ trug.[7] In einem Schreiben des HSSPF hieß es vor der Eröffnung:

 

 

„(…) Das Lager Essen-Mülheim (Flughafengelände) wird am Montag, den 9.6.41, eröffnet. Ich bitte, den Polizeipräsidenten in Essen anzuweisen, die als Wachmannschaften vorgesehenen 3 Unterführer (Anm.: PM Poklin, PHW Allmueller, PHW Schmitz) und 23 Polizeireservisten zum Flughafengelände Essen-Mülheim abzukommandieren. Meldung am 9.6.41, 9.00 h, bei der Flughafenleitung, SS-Standartenführer Roß. Gez. Groenig, Hauptmann d. Schutzpolizei“[8]

 

 

Es wurde geregelt, dass die Wachmannschaft im Dienst der Gestapo steht.[9] Bereits zehn Monate nach Inbetriebnahme des Lagers kam es im Fahrtwasser des Personal verschlingenden Kriegseinsatzes von Polizeibeamten im Rückraum hinter den kämpfenden Truppen im AEL zu personellen Problemen. Der Essener Polizeipräsident erbat beim HSSPF die Ablösung von 10 Mann der Wachmannschaft, da diese in den Reserve-Polizeibataillonen 62 und 64 eingesetzt werden sollten. Die Flughafenleitung forderte nur zwei Monate später hingegen eine Erhöhung der Wachmannschaft, da das ursprünglich für maximal 500 Zwangsarbeiter konzipierte Lager mittlerweile eine Überbelegung von 200 Häftlingen hatte. Es wurde beklagt, dass das Wachpersonal teilweise um „gebesserte deutsche Häftlinge“ ergänzt werden musste. Die zuständigen Behörden, die genug damit zu tun hatten, wehrfähige Polizeibeamte für die auswärtigen Kriegseinsätze zu finden, lehnten dies jedoch mit Blick auf die „äußerst gespannte Kräftelage“ der Polizei ab. Jede weitere Abstellung von Bewachungskräften und jeder Verstärkung bestehender Wachkommandos der Ordnungspolizei  für Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager wurde durch den Reichschef der Ordnungspolizei Daluege persönlich verboten.[10]

 

 

Im Mülheimer AEL wurden vorrangig Arbeiten an einem Rollfeld für Flugzeuge ausgeführt. Der ursprünglich kreisrunde kleine Zivilflugplatz sollte zu einem großen Flughafen für militärische Nutzung umgebaut werden.[11] In dem felsigen Boden des Geländes mussten von Hand Gräben für Entwässerungsrohre ausgehoben werden. Auch die Schienen, die für eine Transportbahn durch das Einsatzareal angelegt wurde, mussten von Hand verlegt werden. Als Aufseher über die Arbeiten fungierten außer den Polizeibeamten der Wachmannschaft auch Vorarbeiter der Firmen, die mit der Ausführung der Arbeiten beauftragt waren. Ähnlich wie die beamteten Aufseher wurden die Gefangenen auch von den Vorarbeitern beschimpft und mit Stockschlägen zur Arbeit angehalten. So konnten sich nicht nur Polizeibeamte, sondern auch Privatleute an den bedauernswerten Menschen austoben.[12] Nachts wurden die Gefangenen teils durch die Lagermannschaft mit Lärm schikaniert, der ein Schlafen unmöglich machte. Ein beliebtes Ritual in dem Essen-Mülheimer Gestapo-Lager war auch, Gefangene nachts aus ihren Baracken zu holen und sie exerzieren oder „Lagersport“ treiben zu lassen.[13] Jede noch so kleine Verfehlung im Lager –  und sei es auch nur eine gewesen, die dem Häftling mutwillig unterstellt wurde – wurde gleich mit drakonischen Strafen belegt. Eine Variante des Sadismus, den die Wachleute im Flughafenlager an den Tag legten, war, dass der zu Bestrafende sich auf den Schlackenboden des Appellplatzes knien und seine mit Backsteinen beschwerten Arme ausgestreckt halten musste. Die Wachtmeister zwangen die Bestraften, in dieser Haltung eine halbe Stunde auszuhalten. Wer die Arme infolge Erschöpfung sinken ließ, wurde solange mit einem Knüppel verprügelt, bis er die Arme wieder hochnahm oder zusammenbrach.[14]

 

 

Ab 1942 wurden die Häftlinge des AEL nach Bombenangriffen auch ins Essener Stadtgebiet gebracht, um dort bei Aufräumungen nach Fliegerangriffen und bei Luftschutzarbeiten zu helfen. Bei diesen Arbeiten wurden die Gefangenen teilweise auch von beurlaubten oder kriegsverletzten deutschen Soldaten bewacht, die sich ihnen gegenüber menschlicher verhielten als die Aufseher am Flughafen. Bei diesen Außenarbeiten wurde den Gefangenen von der Zivilbevölkerung Brot zugesteckt, worüber die Soldaten hinwegsahen.[15]

 

 

Die Lebensbedingungen der Menschen, die an der Stadtgrenze Mülheim/Essen tagein, tagaus schuften müssen, waren unsäglich. Die Baracken der Anlage waren jeweils in vier Stuben unterteilt. In jeder Stube waren 30 Männer zusammengepfercht. Privatsphäre gab es nicht. Neben den Gefangenenunterkünften befanden sich noch ein Verwaltungsbüro, eine Stube für das Wachpersonal und ein Bau mit sechs Duschen für 500 Menschen. Außerdem gab es eine Kleider- und Effektenkammer und eine Krankenstube.[16]

 

 

Im Juli 1942 genehmigte der HSSPF dem Essen-Mülheimer Flughafen eine Aufnahme von bis zu 600 Häftlingen.[17] Die unfreiwillige Bewohnerschaft des Lagers setzte sich überwiegend aus jungen Niederländern, Franzosen und Belgiern zusammen, die als Arbeitsflüchtlinge an der Westgrenze des Reiches festgenommen wurden, aber auch aus Polen, Jugoslawen, Ukrainern und Deutschen.[18]

 

 

Ende Oktober 1943 forderte der Inspekteur der Sicherheitspolizei einen zusätzlichen Sanitätswachtmeister für das Arbeitserziehungslager an, da die medizinischen und hygienischen Verhältnisse dort inzwischen haarsträubende Formen angenommen hatten.[19] Alleine im Oktober des Jahres verstarben 36 Häftlinge an dem Flecktyphus, der im Lager ausgebrochen war.[20] Es wurde darauf hingewiesen, dass es nur einen Sanitäter für mehr als 500 Häftlinge gab. Wenn er im Dienstfrei war, war das Lager gänzlich unversorgt. Eine ärztliche Versorgung war für das große Heer erschöpfter und teils kranker Menschen offensichtlich überhaupt nicht vorgesehen.[21] Eitrige Wunden an den Füßen, die – wenn überhaupt – oft in völlig ungeeignetem Schuhwerk steckten, entzündete Verletzungen an den Händen, Lungenentzündungen, Magenkrankheiten aufgrund einseitiger Ernährung, Grippe und Fieber waren, ohne jegliche Behandlung, an der Tagesordnung. Für die Lagerhäftlinge stand oft nichts an Medikamenten oder Verbandszeug zur Verfügung. Was nicht von alleine heilte, konnte schnell zum physischen Untergang des Betroffenen führen.[22] Die Polizeibehörden waren personell mittlerweile so ausgeblutet, dass es erst nach zweimonatigem Hin und Her und Anfragen des HSSPF bei den Polizeiführungen in Essen, Oberhausen, Mülheim und Duisburg gelang, einen als Sanitäter ausgebildeten Beamten aus Oberhausen zu bekommen, der einen Monat später durch einen Mann aus Duisburg ersetzt wurde. Währendessen schufteten weiter ausgemergelte, hungrige und kranke Menschen beim Bau der Flughafenanlagen und anderen Bauprojekten.[23]

 

 

Ab 1942 wurden die meisten Arbeitserziehungslager zusätzlich zu ihrer herkömmlichen Funktion zu Exekutionsstätten der regionalen Staatspolizeistellen. Im Rahmen der „Sonderbehandlungen“, die ja nichts anderes als Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren – lediglich auf Anordnung der Polizei – waren, wurden hier nun Häftlinge der Gestapo durch Erhängen exekutiert. Für das Lager an der Grenze zu Haarzopf sind mindestens zwei Hinrichtungen polnischer Zivilarbeiter dokumentiert. Am 4. August 1943 wurde hier der 32jährige Jan Grazdanow und am 9. Februar 1944 der 29jährige Adolf Potorek  aufgehängt. Grazdanow sollte im März 1943 nach einem Bombenangriff geplündert haben.[24]

 

 

Insgesamt starben von den schätzungsweise 8000 nach und nach in dem Lager Untergebrachten bis 1945 mindestens 130 Menschen an Entkräftung, Misshandlung oder durch hygienebedingte Erkrankungen. Die Hälfte davon waren Niederländer.[25]

 



[1] Lotfi, Gabriele (2000), KZ der Gestapo, Frankfurt/Main, Fischer Taschenbuch-Verlag, S. 129 ff.

[2] Lotfi (2000), S. 142 f.

[3] Lotfi (2000), S. 152

[4] HStAD RW 37 Nr. 14

[5] HStAD RW 37 Nr. 14, Protokoll d. HSSPF Düsseldorf v. 8.4.41

[6] HStAD RW 37 Nr. 16, Schreiben des HSSPF an die Flughafengesellschaft Essen-Mülheim v. 29.4.41

[7] Lotfi (2000), S. 143

[8] HStAD RW 37 Nr. 16, Schreiben des HSSPF Düsseldorf an BDO Münster v. 4.5.41

[9] HStAD RW 37 Nr. 16, Schreiben des HSSPF an den Befehlshaber der Ordnungspolizei im Wehrkreis VI v.

     2.9.41

[10] HStAD RW 37 Nr. 16

[11] Essen erinnert, S. 122

[12] Lotfi (2000), S. 149

[13] Lotfi (2000), S. 156

[14] Lotfi (2000), S. 158

[15] Lotfi (2000), S. 149 f.

[16] Lotfi (2000), S. 143

[17] HStAD RW 37 Nr. 16

[18] Essen erinnert, S. 121

[19] HStAD RW 37 Nr. 16

[20] Essen erinnert, S. 123

[21] HStAD RW 37 Nr. 16

[22] Lotfi (2000), S. 153

[23] HStAD RW 17 Nr. 16

[24] Lotfi (2000), S. 214

[25] Essen erinnert, S. 123